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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

3. 5. 2009 - 12:36

Music Matters

Nach sieben Jahren melden sich dZihan & Kamien mit großartigem Album und klarer Ansage zurück: Musik ist eine Notwendigkeit!

Zeit ist ja bekanntlich etwas Relatives. Ebenso verhält es sich mit unserer Wahrnehmung von Zeit. Darüber hinaus hat auch jeder so seine ganz eigenes Tempo. Auch Musiker.

Michael Nagl

Es gibt welche, die im Zwölfmonats-Rhythmus in Täglich-Grüßt-das-Murmeltier-Manier ein Album nach dem anderen veröffentlichen. Die meisten jedoch lassen sich etwas mehr Zeit, doch wenn das letzte Werk schon einmal sieben Jahre zurückliegt, dann stellt sich schon die Frage nach dem Grund für das lange "Schweigen".

Die Antworten von Vlado dZihan und Mario Kamien kommen dabei wie aus der Pistole geschossen. Die zwei Freunde, Musiker, Produzenten und Couch Records Günder haben nach der Veröffentlichung des letzten dZihan & Kamien Albums "Gran Riserva" 2002 das ganze Material mit großem Orchester live umgesetzt und anschließend auf CD gebannt. Außerdem ist Vlado Vater geworden und hat zwei Alben des überaus erfolgreichen Projekts Madita produziert. Mario hat sich vorwiegend um Labelarbeit gekümmert und sich sonst aus der Musikszene weitgehend zurückgezogen.

Das alles war anscheinend auch notwendig, um sich mit einer derart großartigen Platte wie "Music Matters" zurückzumelden. Auch wenn der Weg dorthin langer und verschlungen war.

Silence Matters

Schon vor drei Jahren beginnen die zwei Produzenten mit der Arbeit am neuen Album. Dabei ist die Entscheidung getroffen worden, sich aus dem gewohnten Umfeld herauszubewegen und in eine neue Welt einzutauchen. Ziel der Suche nach einer adequaten Aufnahmestätte ist schließlich die ligurische Küstenstadt San Remo. Zwischen Olivenhainen steht ein schönes, altes Landhaus, in das sie sich einmieten.

Dzihan & Kamien

Der Aufnahmeort matters! Dieses Landhaus an der ligurischen Küste macht ziemlich was her. Passend zu den Streichermelodien der ersten Single "Busted" könne man erwarten, dass in jedem Augenblick James Bond durch diese Szenerie trabt.

Um keinen Neid zu säen: das Haus ist nicht luxeriös. Es gibt keinen Swimmingpool im Garten und Himmelbetten waren auch keine zu finden. Eher bescheiden und von der Miete wirklich leistbar, so Vlado. Zwischen Gesprächen, gutem Essen und jeder Menge ausgezeichnetem Wein wird für sechs Wochen an neuen Songs gearbeitet.

Style Matters

Das ganze Equippment wird im Haus verteilt, kreuz und quer laufen die Kabel zu Mikrofonständern, Verstärkern und Instrumenten. Die ideale Atmosphäre, um die im Kopf schon vorhandene Soundideen umzusetzen. Es ist ein Magnetismus, wie Mario meint. Ein Wechseln zwischen dem Umsetzen der Vorstellungen und sich spontan entwickelnden, neuen Wegen. Bis in die Nacht wird gejammt, getrommelt und an Arrangements gefeilt. Solange man es selbst aushält, denn weit und breit gibt es hier keine Nachbaren, die sich über nächtlichen Lärm beschweren.

Dzihan & Kamien

Überblick behalten matters! Hier wird eindeutig dem vielgeliebte Vintage-Sound gefrönt. Hauptsache es klingt organisch und druckvoll.

Das Ergebnis dieser Sessions ist sofort hörbar. Auf "Music Matters" verschreiben sich dZihan & Kamien mehr denn je Songstrukturen, eingängigen Harmonien und organischem Sound. Eine klare Abkehr vom elektronischen Klangbild und gleichzeitig ein Abkratzen der oft zu unrecht auf ihnen haftenden Downtempo-Etikette. Das ohrwurmartige Popstück "Take A Minute" eröffnet mit groovender, akustischer Gitarre, der nachfolgende Track "The Time" besticht sofort durch seine eigenwillige Synthie-Linie und swingendes Schlagzeug und zu dem Klavier bei "Life Can Be Good" kann problemlos ein guter, alter Tropfen Wein kredenzt werden. Und das alles bekommt man in perfekt termperierter Produktion vorgesetzt, sodass sich das songschreiberische Bouquet ganz entfalten kann.

Music Matters

dZihan & Kamien

Das Cover mit dem nach unten zerrinnenden Strichcode könnte man fast als Kampfansage gegen die Musikindustrie interpretieren. Vielmehr geht es jedoch darum, uns ins Gedächtnis zu rufen, dass Musik wichtig und notwendig ist. Neben all den komerziellen Formaten, bei denen die nächsten jungen Stars gesucht werden, bleiben viele Musiker darin stecken, vorgefertigte Songs lediglich nachzusingen, es wird mehr ein Stil reproduziert, als dass kreativ nach dem eigenen Sound gesucht werdenwürde. Insofern kann der Albumtitel als Aufforderung verstanden werden, seinen ganz eigenen Weg zu gehen.

"Music Matters" ist gleichzeitig ein Statement von dZihan & Kamien mit dem sie zum Ausdruck bringen, dass sie immer noch die Notwendigkeit verspüren, Musik zu machen. Es ist auch eine Erinnerung für sie selbst danach zu streben ein Album zu machen, das man sich nach "385 Jahren am Kamien", wie Mario scherzhaft meint, anhören und sagen zu kann: "Die Platte war eigentlich nicht schlecht." Oder besser: "Diese Platte ist uns super gelungen."

Voice Matters

Die vielleicht größte Neuerung hat mit den Vocals zu tun. Nach der langen songschreiberischen Session haben Mario und Vlado mit dem isländischen Sänger Helgi Johnson zusammengearbeitet. Seine Stimme bettet sich vorzüglich in die druckvolle Produktion ein. Ein warmes, sehr eigenes Timbre, das die emotionale Stimmung der Songs, die zwischen melancholischen Tönen und feelgood-Höhenflug pendelt, gut verstärkt.

Michael Nagl

Eine Überraschung ist, dass nach zwanzig Minuten Gespräch Mario und Vlado damit rausrücken, dass auch sie selbst am Album gesungen haben. Ebenfalls eine Notwendigkeit, wie Vlado meint. Schließlich haben sie zuvor versucht, eine Stimme zu finden, die das gesamte Spektrum der Gefühle der Platte umsetzten kann. Aber den sehr spezifischen Vorstellungen der beiden gerecht zu werden, das schaffen wohl nur sie selbst. Und die Entscheidung, die eigene Stimme zu verwenden, hat dem Album eine zusätzliche Dimension hinzugefügt. Eine sehr persönliche. So hat Vlado beispielsweise den Song "E.P.A." seinem Sohn gewidmet. Eine wundervoll breit angelegte Hymne, die sich vom Sound her schon fast in den Indie-Bereich vorwagt, wobei der gefilterter Gesang mit nur wenigen Worten genau das ausdrückt, worum es in den Stück geht. Um die Liebe zum eigenen Sohn.

dZihan & Kamien nehmen ihre Musik ernst, aber nicht unbedingt sich selbst. Und diese Trennung schaffen nicht viele Musiker. Ganz nebenbei entstehen durch den trockenen Humor der beiden zitatwürdige Äußerungen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, wie streng sie mit sich selber waren als es daran ging, die Vocals aufzunehmen. Denn man hätte sich ja auch weltbekannte Profis ins Studio holen können, wie Mario meint.

"Klar kann Mariah Carey zwölf Oktaven höher und besser singen als ich, aber ich singe die fünf richtigen."

Michael Nagl

Support Matters

Das neue dZihan & Kamien Album "Music Matters" ist auch Couch Records erschienen.

Im FM4 Soundpark, Sonntag 3. Mai ab 01:00 Uhr nachts bis 06:00 Uhr Montag früh, hören wir uns mit Vlado und Mario durch die Platte.

"Music Matters" ist ein abwechlungsreiches Album geworden, überbordend mit organisch warmen Sounds, Melodien mit mehr als Ohrwurmqualität, cleveren Arrangements und persönlichen Geschichten. Darüber hinaus würde es sich anbieten, diese Songs live mit Band umzusetzen. Doch da wird noch abgewartet. In Zeiten der wirtschaftlichen Engpässe wollen dZihan & Kamien nichts überstürtzen und hoffen darauf, dass dieser Platte die notwendige Beachtung geschenkt wird. Nicht nur in der Presse, sondern auch bei den Konsumenten.

Ein Anreiz dazu bietet die "Eleven Years dZihan & Kamien" Box, in der sich neben allen bisherigen Veröffentlichungen auch ein exkulsiver Film auf DVD befindet. Er zeigt die beiden Musiker bei DJ Sets in den USA, bei Proben mit ihrem Orchester und auch von der blödelnden Privatseite. Ein schönes und liebevoll zusammengestelltes Paket, denn auch packaging matters.