Erstellt am: 18. 4. 2009 - 04:00 Uhr
Ein rostiges Königreich
Es ist fast vier Jahre her, dass die Doves ihr Album Some Cities vorgelegt haben. Eine Platte, die trotz ihrer knöchernen Reduktion eine Menge an Soul und Gefühl vorweisen konnte. Schließlich wurde darauf ja auch der Heimatstadt Manchester gehuldigt. Fast schon ein Muss für dort ansässige Bands (so findet sich zum Beispiel auf jeder Elbow Platte ein Liebeslied an die "nördliche Hauptstadt Englands").
Doch für das jetzt endlich vorliegende Werk Kingdom Of Rust hat das Trio die gewohnte Umgebung verlassen müssen, um wieder Ruhe und neue Inspiration zu finden.

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Zwischen 60 Songs und 100.000 Flugzeugen
Wer nicht ein Verwandter oder naher Bekannter von den Zwillingsbrüdern Andy und Jez Williams oder Jimi Goodwin ist, wird sich wohl auch gewundert haben, warum über eintausendvierhundert Tage verstreichen mussten, bis ein neues Doves Album im Kasten war. Für Schlagzeuger Andy Williams ist diese Zeitspanne nicht außergewöhnlich. Klar, wenn man sich die Arbeitsweise der Doves erklären lässt, bleiben keine offenen Fragen mehr.
"Wir hätten schon vor einem Jahr eine Platte herausbringen können, aber wir hatten das Gefühl, dass die Songs noch nicht gut genug waren. Jedes Album muss für uns eine Weiterentwicklung sein, wenn nicht sogar ein Stück besser werden, als der Vorgänger. Und das braucht Zeit. Es wäre mir auch lieber, wenn die ersten elf Songs, die wir schreiben, auch die sind, die auf der Platte landen. Doch leider ist es nicht so. Diesmal brauchten wir ungefähr sechzig Songs, bis wir genau die hatten, die wir auf dem Album haben wollten."

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Neben viel Diskussions- und Streitkultur ("wir haben fast ein halbes Jahr gestritten für dieses Album" meint Andy in einem Nebensatz mit Augenzwinkern) ist der richtige Ort für einen derart langen Prozess - es waren ungefähr zwei Jahre Produktionszeit - enorm wichtig. Und so zogen sich die Doves in ein kleines Land- oder besser Farmhaus zurück, irgendwo in der Region Cheshire.
"Es war ein seltsamer Platz. Total flach und dadurch auch extrem windig. Neben dem Haus ging gleich die Autobahn vorbei und über unseren Köpfen war die Einflugschneise für den nahe gelegenen Flughafen. Es ist dort einsam, entlegen und bot uns die Möglichkeit, viel Lärm zu machen. Auch in der Nacht. Wie gesagt, ein seltsamer, aber auch produktiver Ort."
Zwischen Jetstream und Zwangsneurosen
Das Ergebnis dieser kleinen Emigration macht sich sofort bemerkbar. Gleich der erste Song "Jetstream" erweitert das Soundspektrum der Doves erheblich. Das rollende Groovemonster mit einem "Kraftwerk-y feeling", wie es Andy bezeichnet, weist eindeutig in die musikalische Vergangenheit, als Jimi, Jez und Andy noch unter dem Namen Sub Sub dem clubbigen Dancebeats verhaftet waren.
Auch das langsame, aber nicht minder druckvolle "Compulsion" schlägt noch nicht gehörte Töne der Doves an. Mit seinem kühlen Funk verarbeitet es die Liebe zu früher New York Disco Musik a la Larry Levan. Natürlich flirren auch hier die gewohnten Gitarrenlinien im unendlich erscheinenden Hall und verschmelzen mit Jimis choralem Gesang.
Auch "House Of Mirrows" könnte mit seinem stampfenden Beat Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger in Manchester entstanden sein. Ohne hier die üblichen Referenzkeulen schwingen zu wollen, erinnert das Stück doch entfernt an die Stone Roses oder gar die Charlatanes, wobei der Nummer dafür dann doch der locker-flockige Popzugang abgeht.
Zwischen Krise und Verleugnung

The Doves
Ganz langsam und sanft schmeichelt sich der Titelsong "Kindom Of Rust" in die Gehörgänge. Ursprünglich als Roadtrip durch den Norden Englands konzipiert, erhielt die Nummer eine semantische Wandlung. Nicht verwunderlich, so entziehen sich die Texte des Manchester Trios grundsätzlich eindeutiger Interpretationen und bieten so viel Spielraum für Identifizierung und Verknüpfung mit persönlichen Themen.
"Als wir den Song geschrieben haben, dachten wir an eine Reise nach Preston im Norden Englands. Für unsere Freunde und Fans schwingt jedoch vermehrt das Thema Rezession und Wirtschaftskrise mit. Schließlich heißt es ja im Text auch: It takes a notion of trust to make it in the kingdom of rust". Und es stimmt schon. Heutzutage muss du schon ein gutes Durchhaltevermögen an den Tag legen, um die Krise zu überstehen."

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Trotzdem findet sich in vielen Songs das Thema der Reise, des Umherziehens. Wie in dem famosen Stück "10:03", das mit seinem schaukelnden Rhythmus und eigenwillig euphorischem Arrangement die Gefühlswelt einer Zugfahrt widerspiegelt, bei der man am Ende in die Heimat zurückkehrt. Und wenn Jimi Goodwin mit Streichern, Bass und herrlichen Gitarren im Hintergrund "Birds Flew Backwards" intoniert, dann kann auch hier ein Gefühl von Fernweh entstehen.
Musikalisch und vor allem textlich am Eindringlichsten ist jedoch die (recht abstrakt gehaltene) Geschichte eines Verleugners. Wer die Person in "The Great Denier" wirklich ist, kann Andy zwar nicht beantworten, allerdings gibt es schon einen realen Referenzpunkt zu diesem Song.
"Wir haben den Text alle zusammen geschrieben. Wir sagen zwar nie ganz spezifisch, worum es geht, allerdings waren Rassenunruhen in Nordengland vor ein paar Jahren der Anstoß für den Text. Es geht um jemanden, der nach langer Zeit erkennt, dass all seine Überzeugungen, Auffassungen und Glaubensgrundsätze große Irrtümer sind und der alle Zeichen, die ihm anderes signalisiert haben, bisher verleugnet hat."

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Die Könige des nordenglischen Gitarrenrocks
Die Doves hatten es schon immer schwer. Über zwei Jahrzehnte den Mut, die Geduld und Energie nicht zu verlieren und sich immer wieder aufzuraffen, sich weiter zu entwickeln und neue Wege zu gehen, ist schon ein großer Erfolg an sich. Darüber hinaus nach einem nahezu perfektem Indie-Gitarrenmeisterwerk wie The Last Broadcast wieder Neues aus sich zu schöpfen, das gelingt wohl nur den wenigsten Bands.
Radio-Tipp
- Mehr zum neuen Doves Album "Kingdom Of Rust" inklusive Interviewauszüge und Songs, kannst du am Samstag 18. April ab 15 Uhr in FM4 Connected hören.
So ist auch "Kindom Of Rust" ein weiterer Schritt des Trios, der viel Anstrengung gekostet hat. Denn Jimi, Jez und Andy sind ihre härtesten Kritiker. Ihr persönlich hoch gesetzter Standard übersteigt oft alle Erwartungen von außen und ist somit ihr entscheidener Motor für ein großes Werk.
Es kristallisiert sich erst mit der Zeit heraus, wieviel unter der rostig-rauhen Oberfläche der diamantenen Songs eigentlich glitzert. Auch die teils düstere Stimmung erhellt sich mit jedem Hördurchgang mehr. Schließlich bekräftigt auch Schlagzeuger Andy, dass die Doves keine gloomy band sind. Dementsprechend kann man durch all die wundervollen Melodien, abschweifenden Arrangements, träumerischen Soundlandschaften und grandiosen Giatrrenriffs jede Menge Hoffnung und Druchhaltevermögen spüren. Genau das, was man heutzutage braucht.