Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der ungeklärte Tod des Ian Tomlinson"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

8. 4. 2009 - 19:55

Der ungeklärte Tod des Ian Tomlinson

Hat die britische Polizei den Tod eines unbeteiligten Mannes bei der G20-Demonstration in der Londoner City am Gewissen?

Da sitz' ich gerade zwischen meinem Interview mit David Longstreth von den Dirty Projectors (gut war’s, demnächst, demnächst) und dem Abholen von Freunden, die in Heathrow ankommen, in einem Pub im gutbürgerlichsten Kew, und am Tisch nebenan haben sie nur ein Thema: Erfahrungen mit prügelnden Polizisten bei Demos. In Kew??

Das Thema liegt in der Luft, nicht ohne Grund. Kollege Chris Cummins war der erste, der mich gestern auf das Video von der G20-Demo letzten Mittwoch aufmerksam machte.

Wie hier berichtet, war ein 47-jähriger Trafikant namens Ian Tomlinson bei dieser Demonstration gestorben, an Herzinfarkt, wie es zunächst hieß. Die Polizei habe ihm zu helfen versucht, sei dabei aber von Flaschen werfenden DemonstrantInnen behindert worden.

Die Boulevardpresse stürzte sich auf die Meldung und dämonisierte die bösen Prostestierer. Ich selber - als Nichtdortgewesener - versuchte, neutral zu bleiben, auch wenn ich die britische Polizei zuvor schon ein paar Mal beim, sagen wir es so, etwas überhitzten Handeln beobachten durfte.

Jetzt ist wie gesagt eine auf Video festgehaltene neue Perspektive der Vorgeschichte zum Tod des unverhofft in die Proteste geratenen Ian Tomlinson aufgetaucht. Gedreht wurde der Film übrigens von einem ebenfalls zufällig in den Polizeieinsatz verwickelten amerikanischen Banker, veröffentlicht wurde er auf der Website des Guardian.

verschwommenes Bild von Polizist, der Ian Tomlinson schlägt

Guardian

Der Schlag von hinten - unverschwommen und bewegt unter obigem Guardian-Link zu sehen

Wie es scheint, wurde der unbeteiligte Mann von den Herren in den Helmen nicht nur ohne Provokation niedergestoßen, sondern regelrecht niedergeknüppelt (siehe den Schwung der Schlaghand des Polizisten hinter ihm).

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Polizei durch Kameras beim Verdrehen von Hergängen zum eigenen Vorteil ertappt würde, siehe den Fall des in der Underground-Station in Stockwell ohne Warnung erschossenen, fälschlich für einen Selbstmordattentäter gehaltenen Brasilianers Jean Charles de Menezes.

In jenem Fall wurde niemand verurteilt, weil der Untersuchungsrichter befand, dass sich angesichts der vielen in den Hergang verwickelten Leute (Offiziere, die Befehle geben, andere, die sie ausführen), der Tatbestand des "unlawful killing" nicht an einzelnen Personen festmachen ließe. Eine erstaunliche instant-philosophische Entscheidung, mit der die aus Brasilien angereisten Verwandten des Opfers naturgemäß nicht allzu glücklich waren.

Wenn ich jetzt also höre, dass der Fall von Ian Tomlinson ein Wendepunkt in der Rechenschaftspflicht der Polizei sein wird, dann genieße ich das erst einmal mit Skepsis. A propos, wo wir beim Thema sind: Gestern The Changeling von Clint Eastwood gesehen. Ziemlich beeindruckend gut, oder?