Erstellt am: 31. 3. 2009 - 16:20 Uhr
White Riot
Kann schon sein, dass es grad' Wichtigeres aus England zu berichten gäbe. G20, ich weiß. Aber man muss solche Dinge längerfristig betrachten. Gipfeltreffen kommen und gehen. Wenn in England dagegen ein neues Nationalmannschaftsfußballtrikot auf den Markt kommt, ist das ein Anblick, der über die nächsten zwei Saisonen hinweg, bis einschließlich des nächsten großen Turniers omnipräsent sein wird. Schließlich werfen Kinder und Erwachsene, männlich und weiblich, sich unter jedem erdenklichen Vorwand auf offener Straße in ebendiese Uniform, so als wär' das normal.
Ist es ja auch, jedenfalls in diesem Land.
Ich bin in dieser Hinsicht daher alles andere als neutral und habe sehr genaue Vorstellungen davon, was ich auf englischen PassantInnenkörpern sehen will und vor allem was nicht (die sicher edel und gut gemeinte Ansicht, dass Kleidungsstil einen nur selbst angeht und man dem Rest der Welt gegenüber tolerant zu sein hat, ist natürlich ein tragischer Irrtum – wen schaut man denn an, sich selbst oder die anderen? Eben).
Schimpf und Spott
Gottseidank haben dieses Jahr die Designer einen feuchten Krapfen drauf gegeben, was der durchschnittliche England-Fan überziehen will und sich stattdessen an den Bedürfnissen der unfreiwilligen BetrachterInnen orientiert. Unter dem Motto "Tailored by England" haben sie sich in einen snobistischen Schneidereiwahn hineingesteigert, vermutlich, um Fabio Capello zu zeigen, dass in Sachen Herrenkleidung immer noch die Savile Row das Zepter führt.
Angeblich – und ich übernehme das bitte nur aus zweiter medialer Hand – hat das dabei herausgekommene Trikot auf den sprechenden Sportradiosendern der Nation für viel Schimpf und Spott gesorgt. Was sich eigentlich als sicheres Zeichen dafür deuten lassen sollte, dass da jemand was sehr richtig gemacht hat.
Eh.
Aber halt leider nicht ganz. Bittesehr:

umbro
Das neue englische Shirt hat keinerlei kindische Ornamente forcierter Schnittigkeit. Keine dummen eingesetzten Weltraumtechnologie-Stoffstreifen, keine Netzleiberl-Applikationen, keine Flaggenmotive, nicht einmal den dummen goldenen Weltmeisterstern drauf. Es ist schlicht weiß. Das einzige, was stören darf, ist das leider ziemlich miese Logo des Ausrüsters, die drei Löwen gehen dagegen absolut okay.
Brustweiten im Dutzend
Noch besser: Es ist ein schlankes Shirt (schlecht zum Festhalten für die gegnerischen Verteidiger), den britischen Nationalspielern buchstäblich an den Leib geschneidert (wieso hat daran bisher noch niemand gedacht?) und selbst für ordinäre KonsumentInnen in sechs (weiblich fassionierten) Frauengrößen, zwölf (!) verschiedenen Herrenbrustweiten, jeweils drei Mädchen- und Bubengrößen erhältlich.
Das klingt fast so, als hätte sich ein Designer den Herstellern am Montagmorgen nicht verraten getraut, dass sein Vorschlag vom Freitagnachmittag eigentlich schon eher als Jux gedacht war.
Wunderbar. Und trotzdem hab ich wieder was zu meckern: Wenn schon der Aufwand, wenn schon die klassische Note, warum dann bitte keine Bündchen an den Ärmeln?
Und warum die kleinen rechteckigen Krägen? Das sieht verdächtig nach Rugby-Shirt aus und riecht daher bereits nach implizitem Klassenkonflikt, schließlich will der/die proletarische Fußball-Fan sich wohl kein Kennungszeichen der Middle Class aufzwingen lassen (ein Freund von mir hat so eine Theorie, dass der Rundkragen der George Best-Man Utd-Ära damals eines der stärksten Symbole der Emanzipation der britischen Working Class gewesen sei).
Abgesehen davon hätte ein spitzerer, etwas größerer Kragen optisch einfach mehr hergegeben, egal ob das beim Sprinten und Springen lästig flattern mag. A propos: Die tarnende Schlammfarbe für den Tormann wird beim Elferschießen wenig Glück bringen.
Aber egal: Dort, wo es wirklich drauf ankommt, nämlich auf der britischen High Street, wird diese Kollektion einen durchwegs positiven Beitrag zum ästhetischen Wohlbefinden liefern. Dafür danke.