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Clara Trischler Jerusalem

Erzählt an dieser Stelle über israelische Alltagsbeobachtungen.

30. 3. 2009 - 15:05

Being a Refusenik

Drei Jahre nimmt der Militärdienst in Israel für Männer in Anspruch, zwei Jahre für Frauen. Und die Alternative hierzu heißt nicht Zivildienst, sondern Militärgefängnis.

Es ist nach Mitternacht, als Vinzent und ich im Zug vom Flughafen auf Peleg und Ben treffen. Wir setzen uns in roten Plastikstühlen ans Meer und warten auf die Sonne. Es ist meine erste Nacht in Israel. Die Flugzeuge fliegen tief und rauschen laut und groß an uns vorbei, die Küste von Tel Aviv riecht nach Falafel, dick und süß, nach schwülem Meer.

Peleg erzählt, dass er in Israel aufgewachsen ist, bis er 17 war. Dann ist seine Familie nach Colorado gezogen. Jetzt mit 20 hat ihn die israelische Armee eingezogen. Wenn er nicht seine drei Jahre Militärdienst ableistet, kann er die nächsten 20 nicht mehr einreisen. Seine nicht mehr ganz jungen Großeltern leben hier, in Israel.

Zwei junge Männer am Strand, auf Plastikstühlen sitzend

Clara Trischler

Ben und Peleg

In den drei Jahren, in denen europäische StudentInnen ihren Bachelor machen, leisten männliche Israelis ihren Militärdienst (für Frauen dauert er zwei Jahre). Die Alternative hierzu heißt nicht Zivildienst sondern Militärgefängnis. Manche finden Vorwände, lassen sich beim Psychologen für verrückt, depressiv oder fanatisch erklären. Manche verweigern ganz bewusst. "Es ist einfach eine andere Art zu schreien", sagt Uri Yacobi-Keller. Er ist 24, Mathematikstudent und DJ.

Verweigerung aus Gewissensgründen

Junger Mann

Clara Trischler

Uri

"Ich wollte kein Teil einer Organisation sein, die Menschen tötet. Ich verweigere aus Gewissensgründen, ich würde auch nicht in die österreichische Armee gehen." Dafür saß er vierundhalb Monate im Gefängnis. "Daran ist auch nichts Heiliges. Es ist nur ein Weg, deine Sicht auf Ereignisse, die um dich herum passieren, auszudrücken. Der durchschnittliche Palästinenser hat es schlimmer, als ich es dort hatte. Diejenigen, die drei Jahre in der Armee sind, wahrscheinlich auch. Ich kann im Leiden nicht konkurrieren. Und will das auch gar nicht."

An Straßenampeln begegnen mir manchmal 19-jährige, sommerlich gekleidete Mädchen mit umgehängten Gewehren. In jedem Bus, Café und Supermarkt gibt es einen Bewaffneten in der Nähe und als Kinderspielzeug kann man an Touristenständen in der Altstadt Plastikgewehre kaufen. Schon in der Schule werden von den Kleinen zu Festtagen (oder während des Krieges) Packerl für fremde Soldaten gebastelt, statt etwa für sozial Bedürftige. In die wird individuell gefüllt, was man gerade hat. Schokolade und Zahnpasta. Süßkartoffelcurrysemmeln und vegetarische Pastete. Getrocknete Früchte und Nüsse.

"Militarismus wurde uns in Israel als Lebensader präsentiert – als Möglichkeit zu existieren. Der Holocaust war der ultimative Beweis, dass wenn sich Juden nicht bewaffnen und eine Nation mit Militärmacht werden, es nicht so aussieht, als ob die Welt uns weiter erlauben wird, zu existieren. Also tun wir besser selbst etwas dagegen", so die Aktivistin Tal Haran.

* Die Beleidigung Nazi wird in Israel recht inflationär verwendet, ganz offiziell für Polizisten etwa, und steht in diesem Fall laut Uri für "extrem streng".

"Es gibt einige Leute, die richtig Nazi* sind, in ihrer Art, ein System zu unterstützen, das dir einen Preis abverlangt. Für dein Land im Krieg womöglich eingesperrt zu werden oder erschossen", meint Uri.

Josh ist Zionist und davon überzeugt, dass ein Staat sich verteidigen können muss. "Aber wir können nicht weiter die größte Militärmacht im Umfeld sein und uns als Opfer fühlen."

Zwei heilige Kühe

**Deshalb ist die Einstaatenlösung, also, dass Palästinenser und Israelis im selben Land leben, für viele keine Lösung. Israel wurde als jüdischer Staat gegründet und weil muslimische Familien oft kinderreich sind, existiert die Angst, "demographisch besiegt" zu werden, sprich, dass es in wenigen Jahren mehr Nicht-Juden als Juden in Israel gäbe.

Uri: "In Israel gibt es zwei heilige Kühe. Erstens: Israel ist ein jüdischer Staat.** Die zweite heilige Kuh ist die Armee. Die Armee beschützt den jüdischen Staat, nicht die Bewohner von Israel, die nach dem Gesetz ja auch Palästinenser einschließen würden."

"Die meisten Menschen in Israel sehen die Armee als integralen Teil des Lebens. Du beendest die Schule, gehst drei Jahre in die Armee, bläst dir das Hirn in Indien oder Thailand mit Drogen raus und gehst dann auf die Uni. In meiner Blase, in meiner kleinen Welt hab ich nie geglaubt, dass das der normale Lauf der Dinge ist."

Uri verbrachte vierundhalb Monate im Militärgefängnis statt drei Jahre in der Armee. Was hat er mit der "gewonnenen" Zeit gemacht? "Ich habe begonnen, ein Leben zu haben, was nett war, war ein Jahr auf der Universität, hab drei Trips nach Europa gemacht... Spaß gehabt. Und war produktiv. Ich hab gearbeitet. Ich bin zu Demonstrationen gegangen. Ich hab einfach getan, was im Moment gerade gut für mich war. Möglichst keinen Moment verloren, wenn es ging. Ich bin dafür, sich dafür zu entscheiden, nicht zu leiden."

Es gibt alle möglichen Gerüchte, was passiert, wenn man nicht in die Armee geht. Viele glauben, dass sie dann keinen Job bekommen oder nicht in die Universität können.
Als Uri sich meldete, um zu verweigern, fragte ihn ein Militär: "Du weißt schon, dass du im Gefängnis vergewaltigt wirst?"

Junge Frau in rotem Oberteil

Clara Trischler

Marina Maximilian Blumin wurde erst als untauglich eingestuft. Als sie bei (nennen wir es übersetzt) "Israeli Idol" berühmt und schließlich für den diesjährigen European Song Contest ausgewählt wurde, musste sie wegen Protesten zurücktreten, weil sie ihren Wehrdienst nicht abgeleistet hatte. Interessanterweise werden beim Schlagerbewerb nun Noa & Mira Awad auftreten, eine jüdische und eine arabische Israelin, die ein Lied über den Frieden singen wollen.

Coladosen

Clara Trischler

Arabisch, hebräisch

Detail am Rande:
Noch in den 1950er, -60er und -70er Jahren begannen erfolgreiche israelische MusikerInnenkarrieren meistens in der Militärkapelle.

Marina war außerdem mit dem gefallenen Soldaten Lior befreundet, dessen Familie sie bat, bei der öffentlichen Gedenkveranstaltung zu singen. Daraufhin erhielt sie einen Anruf von einem Brigadier-General der Israelischen Armee, der meinte, sie solle entweder öffentlich sagen, dass sie gerne eingezogen würde oder ihren Auftritt zurückziehen. "Er fragte mich, ob ich gewillt wäre, zurückzukommen und ich fragte ihn, ob er gerne wieder in den Matheunterricht zurück will. Dann sagte er, dass wenn ich auftreten würde, die Armeevertretung nicht erscheinen würde." Aus Respekt gegenüber der Familie gab sie auf.

Gruppe von Soldaten mit umgehängten Gewehren

Clara Trischler

Gerade junge Celebrities müssen aber meist nicht im Schlamm robben, tragen schon als Vorbilder einen unbezahlbaren Teil bei, der sich trotz der zwei, drei Jahre Karriereeinschnitt in diesem Land offenbar bezahlt macht.

Es gibt auch bürokratische oder soziale Jobs, nicht jeder israelische Soldat ist in einer Kampfeinheit. Als Einzelkind darf man das gar nicht. "In der Armee spielen Eltern eine große Rolle. Wenn der einzige Sohn stirbt, sind sie möglicherweise so verstört, dass jemand verantwortlich gemacht werden muss. Wie in der Schule, wo Eltern zu DirektorIn und LehrerInnen gehen und gegen das Image der Schule arbeiten könnten."

Für einen verlängerten Dienst in der Armee, inklusive Ausbildung und zukünftigen Berufsangeboten, werden einem dafür Urlaub, Universitätsgebühren und öffentlicher Verkehr bezahlt.

In Uris Militärgefängnis gab es zwei Hauptvergehen. "Die meisten waren Deserteure. Sind nach Hause oder davongegangen, ohne Erlaubnis zu haben. Offiziell wird Tag mit Tag vergolten, es gab Leute, die für vier Jahre desertiert sind. Der zweitgrößte Teil waren Kiffer. Ernsthaft. Ein Joint ist genug, um ins Gefängnis zu kommen."

Wer verweigert hat, die Gefängnisuniform zu tragen, wurde automatisch in die Isolationshaft geschickt.
Verweigerer aus politischen oder Gewissensgründen werden laut Amnesty International als politische Häftlinge eingesperrt. Lichtblicke in diesem Alltag waren für Uri Postkarten von Menschen aus Australien, Kanada oder Europa, die es mutig und kraftvoll fanden, dass er sich für seine Prinzipien einsperren hat lassen. Amnesty International wünscht sich eine legale Anerkennung des "universellen menschlichen Rechts" auf Wehrdienstverweigerung.

Straßenszene in Jerusalem

Clara Trischler

Uri wurde immer wieder nach Europa eingeladen, um seine Geschichte zu erzählen. Diese Anerkennung ist ihm allerdings suspekt, weil es ihm "nicht unnatürlich vorkommt, das zu tun. Für einige ist das sicher schwieriger. Ich bin kein guter Märtyrer. Ins Gefängnis zu gehen war nicht lustig, aber einige, die sich entscheiden, in die Armee zu gehen, wissen, dass das auch nicht lustig ist. Ich habe geschrien und ich bin froh, dass manche mein Schreien schätzen, aber ich habe nicht das Gefühl, deshalb ein tapferer Mensch zu sein."

Die Armee ist ein Symptom

www.december18th.org
Jugendliche israelische VerweigererInnen aus Gewissensgründen

Als 18-jähriger Mensch in der Normalität eines sich fast immer irgendwie im Krieg befindenden Landes, ohne selbst Armeesympathie aufbringen zu können, bleibt manchmal der Gedanke hängen: Wenn sowieso jemand die besetzten Gebiete bewacht, wäre es dann nicht besser, wenn derjenige an Menschenrechte glaubt und Palästinenser vor unnötiger Gewalt schützt? Manche sehen es als moralische Pflicht, der "gute Soldat", der "bessere" Besatzer zu sein. Außerdem könne man von innen mehr bewirken, Befehle kreativer interpretieren, wirkungsvoller Stimme der Opposition sein.

Vermutlich hinterlässt das Verweigern eher persönliche als politische Spuren. Das Problem liege ja nicht an der Armee selbst, so Tal: "Falls morgen, so Gott will, die Besetzung endet und die Armee aufgelöst wird, haben wir immer noch nicht angefangen zu entmilitarisieren. Es geht nicht um die Armee, die Armee ist nur ein Symptom." Es geht um die Entmilitarisierung in den Köpfen der Menschen.

Ich frage einen israelischen Freund, ob er in der Armee Dinge getan hätte, die er nicht tun wollte. "Ja", sagt er nach einer Weile, und dann lange nichts mehr.