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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

11. 3. 2009 - 19:30

Die große Koalition

In London fand das Gründungstreffen der Featured Artists Coalition statt. Namedropping als Leseanreiz: Radiohead, Kate Nash, Blur, Travis, Billy Bragg etc.

Eigentlich hätte das Gründungstreffen der Featured Artists Coalition ja schon im Februar stattfinden sollen, aber ein bisschen Schnee war genug, um die Zuckerpüppchen von der Revolution abzuhalten. Und stopp... das war auch schon das letzte Mal, dass ich in diesem Text dem natürlichen, aber doch eher billigen Drang zum Bespötteln der vorgeblichen Popstargewerkschaft nachgegeben hab.

Zur (journalistischen) Hälfte meiner Person war ich ja als Fünfte Kolonne dort, schließlich handelte es sich ausschließlich um ein privates Meeting unter KünstlerInnen, bei dem die Presse draußen bleiben musste. Somit sollte ich technisch gesehen auch hier nicht darüber berichten, aber was soll’s, die FAC hat nichts zu verbergen, im Gegenteil. Die Frage, wie MusikerInnen im Umfeld der neuen digitalen Musikindustrie überleben und sich neu organisieren sollen, sollte wohl so offen wie möglich geklärt werden. Weil gerade die Undurchschaubarkeit der neuen Deals, die auf Seite des Publikums zum Beispiel mit einem Handy-Kauf beginnen und am anderen Ende in der Buchhaltung eines Major-Labels versanden, das größte Hindernis der Fairness darstellen.

Popstars sind naturgemäß Tiere mit hohem territorialem Geltungsdrang, insofern war die Atmosphäre auch gehörig geladen, als ich heute nachmittag ins Heaven unterhalb der Ankunftshalle von Charing Cross hinabstieg. Da standen so Leute wie Robbie Williams, Mick Jones, oder Nick Mason neben Badly Drawn Boy, den Futureheads und Josh Weller und anderen wie mir, die kein Schwein kannte, und schnüffelten einander den Hintern ab. Die britische Presse hatte im Vorfeld bereits von einer Gewerkschaft der fetten Millionäre gesprochen, und natürlich hing die materielle Ungleichheit zwischen einigen der Anwesenden schwer in der Luft, nicht zuletzt wo es bei der FAC ja schließlich auch ums Eingemachte geht.

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Robert Rotifer

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In der großen Halle lag auf jedem Sessel ein Pamphlet und eine Beitrittserklärung bereit. 5% der Leistungsrechte sollte also jedes Mitglied in diese neue Interessensvertretung investieren, schau an. Auf der Bühne präsentierte sich das sogenannte „steering comitee“: Ein schwer verschnupfter Billy Bragg, Ed von Radiohead, Kate Nash und Dave von Blur.

"ein protektionistischer Betrug"

Wie vorauszusehen, hatten ersterer und letzterer am meisten Konkretes zu sagen: Zuallererst stellte Billy Bragg fest, dass die Fans nicht kriminalisiert werden sollten (ein Prinzip, das per Handabstimmung vom Plenum einstimmig bestätigt wurde). Die öffentliche Reaktion der KonsumentInnen auf Google/YouTubes Entscheidung, Musikvideos von seiner britischen Site zu entfernen, zeige, dass das Publikum glaube, man wolle es für das Anschauen von Videos bezahlen lassen. Es bedürfe also einer „Erziehung“ des Publikums. Das Internet, meinte Bragg, stelle für diese Generation von Musikmachenden eine enorme Chance dar. Wenn die Entwicklung dieser neuen Ökonomie aber den Majors und Googles überlassen würde, könnten wir in zehn Jahren vor der Situation stehen, dass Musik nichts mehr wert ist.

In zehn Jahren erst?

Ed von Radiohead schwärmte, dass „In Rainbows“ das Herausbringen eines neuen Albums wieder spaßig gemacht hätte, erklärte aber nicht konkret, wie andere, kleinere Bands an diesem Spaß teilhaben könnten, und Kate Nash lieferte ein paar gut gewählte Slogans im Sinne des gemeinsamen Stärkerseins.

"...unsere eigenen Taxis rufen"

Die wirkliche Substanz kam dann aber im Vortrag Dave Rowntrees. Wie viele der Anwesenden wüssten, habe seine Band wegen eines betrügerischen Managers sämtliche Einnahmen ihres ersten Albums verloren, und heute erginge es wohl jeder Menge junger Bands genauso. Die FAC sei unter anderem dazu da, jungen KünstlerInnen solche Erfahrungen zu ersparen. Die Musikindustrie, sagte Rowntree, betreibe derzeit einen protektionistischen Betrug, indem sie Wege findet, aus der digitalen Vermarktung von Musik Millionen zu machen, ohne dieses Geld an die Musikschaffenden weiterzuleiten. Es gelte dringend Transparenz zu schaffen, und den dazu nötigen Druck könne man nur gemeinsam erzeugen. Und dann die Kampfansage: „Auch ohne Musikindustrie würden wir Wege finden, unsere Musik veröffentlichen. Auch ohne Manager würden wir Wege finden, unsere eigenen Taxis zu rufen.“ (der Lacher des Abends)

Fran Healy von Travis fragte aus dem Publikum, ob man daran gedacht hätte, die Internet Service Providers zur Abgabe eines Kulturbeitrags aus ihren Subskriptionsgebühren zu bewegen.

Gespräche mit Regierungen und Internet Service Providern hätten gezeigt, dass die FAC „auf offene Türen trifft“, meinte Rowntree, „Diese Leute wären gern bereit zu verhandeln, nur haben sie bis jetzt niemand gefunden, der sich ihnen gegenübersetzt.“ Allerdings hätten die ISPs selbst mit engen Margen zu kämpfen, da wäre nicht das große Geld zu holen, wie „anderswo in diesem Geschäft.“

Zwischendurch kam auch ein bisschen Spannung auf, als ein Musiker meinte, einige jener Musikanwälte, die alles blockieren, säßen nun selbst hier. Die seien selbst „Teil der Bestie“.

Viel Konkreteres konnte bei diesem ersten Meeting wohl nicht herauskommen. Aber laut Dave Rowntree sollte dies auch die letzte Zusammenkunft sein, die in Form eine Frontalvortrags abläuft. Ab nun seien alle zum Mitmachen gefordert: „Und wie Benjamin Franklin gesagt hat: Geschichte wird von denen gemacht, die aufkreuzen.“

Abschließend stellte Billy Bragg noch fest, dass niemand sich was vormachen sollte: Google/YouTubes jüngstes Vorgehen gegen Musikvideos sei ein Testfall. „Sie wollen unserer PRS ihre Bedingungen aufzwingen.“ Für die FAC sei dieser Fall die erste konkrete Herausforderung, die dringend wahrgenommen werden müsse.

Und dann gab es Drinks an der Bar. „Sind die gratis?“, fragte ein junger Herr in engen Hosen gleich. Aber erstaunlicherweise hielt sich die größte Traube nicht in Nähe der Getränke, sondern am Podium auf, wo das Popstarvolk eifrig weiterschnatterte. Ob dieser Haufen aufgeblasener Egos wirklich zu einem „wir“ finden kann, wird sich weisen. Eine bloße Musikergilde, die einfach nur ihre Pfründe sichern wolle, brauche aber keiner, meinte Billy Bragg. Die würde sonst bloß gemeinsam mit der Musikindustrie untergehen, „when the shit really hits the fan.“