Erstellt am: 11. 3. 2009 - 17:36 Uhr
A Nickel And A Dime
Werden sie wieder oder werden sie nicht - gemeinsam ins Studio gehen? Mehr als drei Jahre sind schließlich schon wieder vergangen seit dem letzten Album der Strokes. In dieser Zeit gab es Solo-Alben von Gitarrist Albert Hammond Jr und zuletzt auch von Drummer Fabrizio Moretti. Scheint, als ob Bassist Nikolai Fraiture da nun etwas unter Zugzwang geraten sein könnte, ebenfalls die langen Intervalle zwischen den Strokes-Alben doch endlich mit einem Solo-Projekt zu überbrücken. Nun ja, das ist so nicht ganz richtig, hat Nikolai sein Nickel Eye Album doch bereits vor zwei Jahren eingespielt, also noch bevor Fab Moretti mit Little Joy den musikalischen Good-Times in den Lo-Fi-Exotica Kleidern frönte und Albert Hammond Jr sein zweites melancholisches Power-Pop-Album veröffentlichte.

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Geheimnis auf der Seele
Die Strokes wurden vor ein paar Jahren mit ihrem Debut-Album sofort zu richtigen kleinen, oder besser: größeren (Indie-)Rock-Stars. New Yorks berühmteste Trust-Fund-Kids - allesamt aus gutem Haus, wenn auch bisweilen darunter dysfunctional families, wie etwa die von Sänger Julian Casablancas. Und so fanden sich die Strokes eines Tages auf einem Party-Schiff in Amsterdam, umgeben von einem Haufen Pop-Journalisten, die, von der Plattenfirma eingeladen, gekommen waren, um den - ehrlichen - Hype zu spüren. Das Boot schaukelte sich durch die Grachten, hinaus Richtung Hafen und eine Runde drehend zurück zum Hotel-Anlege-Steg. Julian-Bub versteckte sich auf dem Boot in einer Ecke hinter einem Geländer, während die beiden redseligen Band-Außenminister Fab Moretti und Albert Hammond Jr den übereifrigen Journos wie meinereinem Rede und Antwort standen. Nick Valensi war präsent, aber demonstrativ wenig interessiert am popjournalistischen Small-Talk. Aber da war auch noch Nikolai Fraiture: Er hatte ein warmes Lächeln um den Mund und in seinen tief-braunen Augen. Nikolai war und ist der angenehme, stille, zurückhaltende, höfliche Stroke. Ein urbaner junger Landjunker im Wolljacket. Ein russisch-französischer Edelmann mit einem Geheimnis auf der Seele.
Längst sind aus diesen New Yorker Trust-Fund-Kids von damals am schaukelnden Boot in Amsterdam erwachsene Männer geworden. Fast möchte man schon sagen, in die Jahre gekommene Herren. Na ja, Albert Hammond Jr trägt noch immer bunte Turnschuhe und lustwandelt mit einem Brit-Supermodel mit Street Credibility, und Julian Casablancas ist noch immer jugendlich entscheidungsschwach und schafft es nicht so ganz, seine Strokes in kürzeren Zeitabständen zusammenzutrommeln. Wie auch immer.

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Mit Nikolai Fraiture sind wir jetzt auf first-name-terms: Nickel Eye lässt sich schließlich genauso aussprechen wie Nikolai. Seine Stimme: Interessant. Ein wenig grummelig, aber doch warm, so wie das Lächeln um seinen Mund und in den tief-braunen Augen. Ehrlich, ich hatte mir die Singstimme des Strokes-Bassisten anders vorgestellt. Wie anders? Smoother? Die Stimme passt aber jedenfalls auch zu einem Leonard Cohen Song: "Hey, That's No Way To Say Goodbye" interpretiert Nikolai Fraiture auf "Time Of The Assassins" - unaufdringlich, nicht Rock-Star-affektiert und dennoch mit Eindringlichkeit.
Poem in a Shoe Box
Gedichte und andere Wort-Aufzeichnungen hat Nikolai Fraiture aus einer alten Schuh-Schachtel hervorgekramt, vor zwei Jahren, als die Strokes Tour vorbei und nichts zu tun war. Fast zehn Jahre lang hatten sie dort gelegen. Notizen aus der Zeit, als der junge Nikolai Fraiture durch die Vereingten Staaten gereist war und die er beiseite geschoben hatte, als es mit den Strokes losging und keine Zeit mehr war für Reminiszenzen oder einfach nur das, was eben gerade noch war. Das Re-Connecten mit diesen Poems war nach all den Jahren dann auch gar nicht so einfach für Nikolai Fraiture, aber dann sprang der Funke über. Die britische Band South, frühere Schulkollegen von Nikolais nunmehriger Frau Illy Fraiture in London, halfen beim Einspielen in ihrem Studio in Hackney. Zurück in New York City sponn Nikolai Fraiture weiter an seinem Album: Regina Spektor, Musikerkollegin mit ebenfalls russischem Blut in den US-Adern, half am Piano aus. Auch ein gewisser Nick Zinner ließ die Yeah Yeah Yeahs mal sein, kam mit der Gitarre und spielte auf dem Song "Dying Star".
"Your eyes are penetrating. They seem so tired and vacant. Outside the sky is bleeding. The sun is overheating."
(Nikolai Fraiture - "Dying Star")

Nikolai Fraiture/Ryko/ADA/Rough Trade
"Time Of The Assassins" von Nikolai Fraiture ist bei Ryko/ADA/Rough Trade erschienen.
Wer dieser Dying Star ist? Nein, das fragen wir besser nicht. Ein Schäuflein Geheimnis braucht ein guter Rock-Song schließlich. Aber was der Titel "Time Of The Assassins" bedeutet, das fragen wir, und ob er mit dem großen US-Schriftsteller Henry Miller und dem französischen Dichter-Star Arthur Rimbaud zu tun hat? Oder auch eine Post-September-11th-Interpretation hier möglich ist? Ja, sagt der stille Stroke: Ersteres trifft zu, zweiteres nur bedingt: Es geht hauptsächlich um den Genozid an den nordamerikanischen Ur-Einwohnern. Wir haben sie ermordet und beinahe ausgerottet, sagt Nikolai Fraiture am anderen Ende der Telefon-Leitung – seine Stimme dabei a whisper becoming a scream, im bildlichen Sinn - und dann haben wir sie und eines ihrer heiligsten Tiere, den Bison, auf unseren Geld-Münzen abgebildet, etwa auf dem Nickel, der heute veralteten US-Münze, die einen Wert von 5-Cent hatte.
A Nickel and a Dime. It's Nikolai from the Strokes. Nikolai Fraiture, der belesenste, der stillste, der sensibelste, der nachdenklichste Stroke. Viel Zeit bleibt ihm in dieser ersten Solo-Runde nicht mehr - die Strokes gehen bald ins Studio. Also, dann hoffentlich bis später mal, Nikolai!
"Time Of The Assassins" von Nikolai Fraiture ist bei Ryko/ADA/Rough Trade erschienen.