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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

5. 3. 2009 - 13:04

Scumbag Millionaire

Wie die Bank of England neues Geld erfindet - und warum Reichtum in Großbritannien neuerdings stinkt.

Wie ich gerade aus meiner Trance aus Fieber, Erbrechen und zwischendurch trotzdem Arbeiten zu einem halbwegs normalen Wachheitsgefühl zurückkehre, beginnen sich ein paar jener Bilder zusammenzufügen, die während der rastlosen Suche nach einer schmerzfreien Liegestellung in Endlosschleife durch meinen Kopf gegeistert sind.

Zum Beispiel mein nicht dem Fieberwahn entstiegenes, sondern vorgestern in einer Episode des Trotzdem-Arbeitens real erlebtes Durchkreuzen der City um halb zehn Uhr morgens auf dem Weg zu einem Termin.

erhängte Banker-Puppe am Marble Arch in London

flickr.com

Marble Arch am 25.2.

Unter meinem Mantel boxte mein Magen mit sich selbst, und ich hätte seine Aggressionen gern durch Befüllung gestillt. Allein mir fehlte Bares, also versuchte ich mein Glück an den im Bankenviertel naturgemäß üppig gesäten Cashpoints. Aber keiner schien was für mich übrig zu haben, so als wäre der City buchstäblich das Geld ausgegangen. Mein Magen zeigte wenig Verständnis für das gelungene Sinnbild.

Aber immerhin waren wir beide nicht die einzigen, denen dieser Mangel übel aufstieß: Die Bank of England, an deren stummer Fassade wir vorbei gewankt waren, wird heute nicht bloß den – nein, nicht gleich beim ersten Betäubungswort die Lider senken! - Leitzinssatz auf offensichtlich desperate 0,5% senken, sondern auch durch "quantitative easing" 75 Milliarden Pfund in die Welt setzen.

Zauberwort "quantitative easing"

Was unverschämte Euphemismen anlangt, ist "quantitative easing" quasi das "friendly fire" der Notenbankerei. Aus Angst vor Vergleichen mit der Weimarer Republik oder Zimbabwe darf man nicht "Geld drucken" dazu sagen, und wie ich den britischen Medien entnehme, ist das ja auch physisch gar nicht der Fall, sondern passiert alles elektronisch. Was in einem Laien wie mir natürlich die Frage aufkommen lässt, ob man das nicht besser gleich heimlich machen könnte, wenn keiner hinschaut. Da oder dort eine Null anhängen, warum nicht?

Andererseits hätte genau diese elektronische Variante mir in meinem Frühstücksbedürfnis aber auch wieder absolut gar nichts genützt. Frühstücksbars wollen Cash sehen.

Im Ernst, es könnte demnächst ungemütlich spannend werden in Großbritannien, und die Symptome sind andere als vor 25 Jahren, wo die Thatcher-Regierung beim großen Minenarbeiterstreik erfolgreich die Working Class und die (in der britischen Wahlkreisarithmetik entscheidende) Middle Class gegeneinander ausspielte. Diesmal scheinen - nicht zuletzt wegen der quer durch die Gesellschaftsschichten gehenden, hohen Individualverschuldung – alle mit drin zu hängen. Fast alle ...

A bunch of bankers

Interessant zu beobachten jedenfalls, wie schnell die mediale Heroisierung der astronomisch entlohnten City-Banker zu Boomzeiten jetzt ins scharfe Gegenteil kippt. Wer den von Typen wie Rupert Murdoch, Richard Desmond und Paul Dacre gesteuerten britischen Boulevard als bloßes Manipulationsinstrument der Herrschenden versteht, sollte nicht unterschätzen, dass die populistischen Zwänge dieser Blätter sie gelegentlich auch in Gefilde mitreißen können, die nicht unbedingt die ideologische Heimat ihrer Eigentümer reflektieren.

Zwar konzentriert sich The Sun nun schon seit Wochen auf die sprichwörtlich pathologische Ablenkungsstory der Krebserkrankung einer ehemaligen Big Brother-Kandidatin, aber selbst Murdochs Massenblatt titelte bereits vergangenen November einmal mit dem an die Rhetorik linker Kampfpamphlete wie des Socialist Worker gemahnenden Satz "Now pass it on, you bankers" – in dieser Form des Aufrufs ein unüberhörbares Wortspiel auf "wankers" (Wichser).

In der Zwischenzeit hat das Feindbild auch ein Gesicht bekommen: Sir Fred Goodwin, jener Ex-Boss der Royal Bank of Scotland, der von Gordon Brown wegen seiner "Dienste für das Bankwesen" geadelt wurde und dann einen historischen Verlust von 24 Milliarden Pfund einfuhr.

Der Anlass des sowohl von den Medien als auch der dringend nach Watschenmännern suchenden politischen Elite zugespitzten Volkszorns ist die im Zuge der staatlichen Rettung von RBS im Hintergrund für Goodwin ausbaldowerte Pension von 650,000 Pfund pro Jahr, die der 50-jährige mit sofortiger Wirkung für den Rest seines Lebens beziehen wird.

"Das Gericht der öffentlichen Meinung"

Nachdem die über den Tisch gezogene Regierung im Nachhinein vergeblich nach rechtlichen Drehs gesucht hat, mit denen Gordon Browns ehemaligem Lieblings-Banker doch noch der Geldhahn abgewürgt werden könnte, ergriff am vergangenen Wochenende Vize-Premier Harriet Harman das Wort: Goodwins Pension sei zwar vor dem Gericht zulässig, nicht aber "vor dem Gericht der öffentlichen Meinung. Das ist, wo die Regierung auf den Plan tritt."
Kein Wunder, dass ich bald nicht mehr zwischen Realität und Fieberwahn zu unterscheiden wusste.

Es heißt, Sir Fred Goodwin will das Land verlassen. Gegenüber von seinem Haus in Edinburgh hat jemand Plakate mit den Aufschriften "WANTED for bank robbery" und "Scumbag Millionaire – JAIL HIM!" an den Gitterzaun gehängt.

Und das in einem Land, das in seiner Ergebenheit vor finanzieller Potenz sonst jedes Jahr neidvoll der Rich List der Sunday Times entgegenfiebert; in einer Gesellschaft, die in ihrem Sprachgebrauch salopp den Verdienst eines Individuums mit seinem Wert gleichsetzt (sprich: "He's worth x billion" heißt "Er hat ein Vermögen von x Milliarden").

Vorige Woche erhängte ein linkes Splittergrüppchen namens Government of the Dead die überlebensgroße Puppe eines Bankers mit Melone (die natürlich heute kein Banker mehr trägt) unter dem Marble Arch, wo früher einmal, als die Gegend noch Tyburn hieß, Hinrichtungen stattfanden - das Gericht der öffentlichen Meinung in Aktion.

Selbst der solchen Umtrieben traditionell feindlich gesinnte, rechte Evening Standard berichtete wertfrei davon.

Keine Frage, irgendwas ist da im Gang.
Nur wohin weiß noch keiner.