Erstellt am: 3. 2. 2009 - 12:27 Uhr
Wilde Herzen
"Für David L." steht im Vorspann von Oskar Roehlers "Lulu & Jimi" und bereits die Farbgebung und Titelgestaltung machen klar, dass es sich bei David L. nicht um den Lieblingsonkel von Roehler handelt, sondern um den verehrten Lynch-David. Und die Gemeinsamkeiten zwischen Roehlers "Lulu & Jimi" und David Lynchs Verfilmung der pulp ficton "Wild at Heart" hören bei der knallpink/schwarz Kombination bei den Titeln natürlich nicht auf, sogar Schlangenlederkluft wird hier wieder getragen.
La, Le, Lulu
Bei Roehler ist die Lula eine Lulu, aus Sailor wird Jimi und statt in Cape Fear befinden wir uns im deutschen Schweinfurt; ein mit Zuckerguss verziertes Lebkuchenherz verrät uns, dass wir das Jahr 1959 schreiben, wo die Freizeitgestaltung der Teenager zwischen Autokino und Autodrom stattfand. Und Autodrom-Betreiber Jimi aus Amerika, der hat es denn Petticoat-schwingenden Backfischen angetan, doch Jimi (Ray Fearon) hat nur Augen für Lulu (Jennifer Decker) seit sie sich beim Autodromfahren verletzt und in Herzform ins Taschentuch geblutet hat.
Joseph Wolfsberg
Mommie Dearest
Lulu, die kecke Fabrikantentochter trägt Beehive am Kopf und die Last einer schwierigen Familie auf den Schultern: Kathrin Sass, die in "Goodbye Lenin" die liebenswerte Mama war, der zuliebe man schonmal die Wende ungeschehen machte, gibt hier die schrille, böse übermächtige Mutter, eine deutsche "Baby Jane" mit krallenartigen Nägeln und markerschütternder Stimme, die den adretten Ernst (Bastian Pastewka) aus gutem Hause dazu auserkoren hat, Lulu zu ehelichen und somit die Familie vor dem Bankrott zu bewahren. Die Verbindung ihrer Tochter mit dem mittellosen und schwarzen Jimi muss verhindert werden.
Kitsch und Trash
Zuckerlbunt, überhöht, hysterisch und kitschig ist die Welt, der Himmel voller Sterne, der Mond viel zu groß, Radios herzförmig, Pudel rosa und Gartenzwerge gigantisch. Immer wieder beschwört Roehler mit flackernden Neonlichtern und düsteren Motels Lynch - und zerstört jegliche Atmosphäre sofort durch die Dialoge. Denn während man die Farbexplosion, die Ausstattung, den zelebrierten Kitsch, der dem Trash-Kino huldigt und die Verweigerung der Realität genießt, die auch einen angenehmen Kontrapunkt zum restlichen deutschen Erzählkino bildet, sind die Daloge weder camp, grotesk noch besitzen sie das Tempo und die übertriebene Energie von deutschen Komödien aus den 50er Jahren, auf die "Lulu und Jimi" natürlich auch verweist. Nach der "Stand by me"-Gesangseinlage von Jimi werden sich auch Musical-Kostverächter wünschen, es würde weiterhin mehr gesungen als gesprochen werden.
Joseph Wolfsberg
Harry statt Bobby
Ein waberndes Saxophon und hypnotischer Beserljazz wie in "Twin Peaks" ziehen sich durch den Film und tragen ihr Scherflein bei zur Hommage, doch bei aller Denkmalsetzung rückt Roehler die Naivität, den Kitsch und die Rebellion in den Vordergrund, das Bizarre und die Gewalt würde ein Lynch-Intensitäts-Messgerät nichtmal wahrnehmen, da nützt es auch nichts, das Ulrich Thomsen als Harry Hass auf den Psychopathenspuren des Bobby Peru aus "Wild at Heart" wandelt.
Die Flucht von Lulu und Jimi vor dem Wirtschaftswunder-Spießertum und Mutter Gertrud und ihren diabolischen Handlangern ist die Diätvariante einer Amour Fou, ein Märchen, in dem man auf Wiesen erwacht, die wie bei Douglas Sirk aussehen, ein Road Movie, in dem geturnt wird wie in Spike Jonzes Video zu "Elektrobank". Für bitterernste Lynch-Fans ist Roehlers farbrauschende Hommage ohnehin gefährlich nahe an der Gotteslästerung, aber selbst all jenen, die ihre Heldenverehrung im Griff haben und nicht gleich "Jössas" schreien, werden der holprige Umgang mit Sprache und die hölzernen Dialoge in die Quere kommen. Das stellt dem Film letztendlich ein Bein (ebenso wie die Anflüge von sketchartigem Humor, die verschwinden aber dann schneller als man Bastian Pastewka sagen kann).
Luna Film
Auch wenn "Lulu & Jimi" vielleicht an der hoch gelegten Latte und den Dialogen scheitert, so schätze ich eine vielleicht patscherte aber ernst gemeinte Liebeserklärung in Filmform mehr, als die x-te auf Nummer Sicher gehende Literaturverfilmung ("Buddenbrooks", anyone) oder eine weitere launige Prä/Während/Post-Mauerfall-Komödie, mit denen uns der deutsche Film jetzt schon so lange füttert. Roehler arbeitet stattdessen ein Stück Kindheitserinnerungen an den Haushalt der wohlhabenden Großeltern ab, bei denen er aufgewachsen ist, seitenhiebt auf das Großbürgertum und seine repressiven Hobbies, besingt Rock'n'Roll als (Über)lebenselixier und hat vor allem Kameramann Wedigo von Schultzendorf, über den Roehler sagt "Es ist kein deutsches Licht, das er macht, das ist ein Hollywood-Licht".
P.S. Zwei Königskinder
Auf die Frage, welche Liebesgeschichte er gern einmal verfilmen würde, antwortet Oskar Roehler im Interview mit der Vanity Fair "Die von Britney Spears und Justin Timberlake, die von den unschuldigen Königskindern!". Ich würds mir anschauen.