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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 1. 2009 - 16:12

Journal '09: 29. 1.

Courage und Bildung. Ein Austausch mit Datum-Chefredakteur Klaus Stimeder.

Klaus Stimeder hat 50 Ausgaben "Datum" hinter sich gebracht - und da diese international angesehene Qualitäts-Publikation keine Verlagsmacht hinter sich hat und auch keine Presseförderung erfährt, ist das ein starkes Stück.

Datum - Ausgabe 50

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Stimeder gilt auch als der inoffizielle Chefausbildner der Jungjournalisten-Szene - seit Jahren füllen die von ihm in die Branche eingewiesenen Jung-Reporter die Redaktionen von Falter, Standard oder Profil.

Es ist wie im Fußball, wo die großen potenten Clubs dem kleinen Ausbildungsverein die Talente wegkaufen - es findet zwar alles offener statt, Ausbildungsentschädigung gibt es aber keine. Stimeder kann maximal damit rechnen, dass die vielen von ihm Entdeckten hin und wieder was gratis für sein Blatt schreiben; und die nächste Generation fitmachen.

Insofern ist Stimeder der optimale Gesprächspartner für das große Thema der (moralischen) Journalismus-Krise, die ich zu Jahresbeginn in dieser kleinen Reihe thematisiert habe.

Franz Schuh im Datum -OT

Die Medienkritik steht entweder im Horizont dessen, was Karl Kraus sagte, dass nämlich „das bloße Rechthaben gegen den Journalismus mit ihm identisch ist.“ Oder sie ist eine Beckettsche Pose; eine, mit der man allen erklärt, was eh ein jeder sieht. Das Rotieren am verlorenen Posten der Medienkritik verdirbt zuerst den Geschmack und dann den Charakter. Dass man sich gegen diese „Verposung“ von Meinung zu wehren versucht, während man sie gleichzeitzeitig vertritt, ist eine der possierlichen, aber notwendigen Künste von Österreich. Deshalb aber ist vornehmstes Ziel der Kritik an Österreichs Medien der einheimische Typus des Medienkritikers selber.

Der langjährige ORF-Generalintendant Gerd Bacher hat einmal gesagt, dass sich die Nazis nicht darauf beschränkt hätten, die kritischen und guten Journalisten umzubringen, sondern, so seine wörtliche Formulierung, "dass sie die 300.000 intelligenten Leser gleich mit umgebracht hätten".

Was es in Österreich nicht gibt ist "bürgerliche Öffentlichkeit" als Institution. Es gelingt nicht, die Kräfte derer, die's könnten, so zusammenzufassen, dass die institutionelle Rolle sich realisieren ließe, die der "bürgerlichen Öffentlichkeit" zugedacht ist: Selbstreflexion und Darstellung dessen, was ist und sein soll. Journalismus im Sinn der Aufklärung ist hier ein Zufallstreffer und nicht grundsätzliche, vom Publikum akzeptierte oder gar geforderte Haltung.

Was "die Deutschen" in diesem Zusammenhang ein bisschen größer macht - ironisch gesagt - sind nicht nur die Reibeflächen unterschiedlicher Traditionen im Journalismus. Ich denke da auch an ... Helmut Schmidt und ... Franz Joseph Strauß... Beide haben diese seltsame Kunst, sowohl persönlich als auch auf ihre Art sachlich sein zu können und sie konnten ... sich das auch leisten, weil es eine abbildende Medienmaschine gibt, die beides ermöglicht: Sachen und Personen zusammen zu halten, aneinander zu binden. Was immer als regressiv gelten muss, hat unter anderem auch diese Tendenz, Sachen und Personen auseinander zu halten, gegeneinander auszuspielen, voneinander zu trennen - und man sieht dann nur die Person und empfindet sie identisch mit der Sache. Ich bin skeptisch gegeüber der nicht nur hierzulande propagierten Trennung von Meinung und Information.

Rohrer, Glattauer, Schuh

Noch dazu, wo sich die Datum-Ausgabe 50 stark damit befasst und neben der eigenen Situation auch die Gesamtlage reflektiert. Anneliese Rohrer bespricht da die Nachwuchs-Situation - wie dann auch vorvorigen Montag im Kulturmontag-Gespräch mit Alfred Dorfer, wo sehr offene und kritische Worte fielen. Niki Glattauer beschrieb die Print-Situation in Speziellen.

Und der Literat/Philosoph Franz Schuh schlägt in 14 heftigen Punkten ordentlich um sich. Schuh geht da weit: in Punkt 6 etwa bezichtigt er die aktuelle österreichische Erzählkunst der plumpen Mainstreamerei (und wird wohl von erregten Bürgern dazu aufgefordert werden, mit Kehlmann "auf die Blutwiese" oder ins Dschungelcamp zu gehen - ist ja wirklich zu wild, wenn man Meinung äußert ...). Schuhs Urteil über die Reflexions-Unfähigkeit (siehe den dritten Absatz der Zitate) etwa ist ein Beinhartes.

Klaus Stimeder nun, der all das und mehr ermöglicht hat, ist ein großer Kommunikator und Redner, aber jemand, den man nach einem Gespräch mit ihm nur schwer zitieren kann - zuviel schwingt da nebenbei mit, zuviel Drastisches könnte man nicht bringen (denn Journalisten untereinander reden - ebenso wie wohl jede Berufsgruppe untereinander - so hart und so deutlich, dass zartbeseitete reihenweise in Ohnmacht fallen würden). Deshallb hab ich ihn zum überlegten schriftlichen Austausch gebeten, der wie folgt ablief:

Du, Herr Stimeder,

Ich hab jüngst ja ein kleines Pamphlet verfasst, Thema: Journalismus-Krise anhand der katastrophal geführten ORF-Debatte. Ich bin ganz froh, dass ich das 50er-Datum erst danach, weil mich die dort veröffentlichten Essays von Schuh und Niki Glattauer vielleicht zu sehr beeinflusst hätten. Vor allem bei Schuh kommt vieles vor, was ich wohl ausführlich zitiert hätte, statt selber drüber nachzudenken.
Mir ist nur ein gewichtiger argumentativer Unterschied aufgefallen ... Frage jetzt an dich, der du das aus der Praxis kennst (und mit dem Mut der Ödnis, über die die anderen nur jammern, dann auch ein neues Medium entgegenzustellen, ausgestattet bist):
Findest du, dass man den Berufsstand an sich, den einzelnen Journalisten und seine Einstellung zu dem was er/sie tut, so aus der Schuld nehmen kann wie es bei Schuh (in dessen 14 Punkten werden Struktur und einzelne Chefitäten ausgemacht, eine Kritik an der Berufsauffassung des Einzelnen hingegen finde ich nicht) passiert?

Beantwortung erste Frage

Sicher nicht. Es ist in Österreich üblich – egal um welche Arbeit und um welche Branche es sich handelt – die Schuld an einem Misstand, und sei er noch so offensichtlich, zuerst in der jeweiligen Struktur zu suchen und nicht bei sich selbst. Das ist offenbar ein Teil unserer Identität.
Strukturen werden aber von Menschen geschaffen und wenn man dieses Argument konsequent zu Ende denkt, ist es im Grunde so, dass man draufkommt, dass sich die Leute bei uns generell irrsinnig schwertun, sich gegenseitig weh zu tun. Diese Sucht nach Konsens und Harmonie geht dann manchmal bis an die Schmerzgrenze oder sogar darüber.

Anschluss-Frage

Du arbeitest ja viel mit dem Nachwuchs - bist letztlich sowas wie der praktische Chefausbildner der jungen Qualitäts-Printjournalistengarde. Wie weit siehst du in diesem Zusammenhang die zuletzt am Montag von Frau Rohrer beschworene Problematik der Zivilcourage der jungen Journalisten?

Das aktuelle Datum

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Die Wurzel

des Problems der mangelnden Zivilcourage unter "Jungjournalisten" - Ausnahmen bestätigen die Regel - liegt viel tiefer, nämlich am Bildungssystem.
Eine halbwegs umfassende politische, ökonomische und mediale Bildung, welche letzlich die Voraussetzung bilden für die Ausbildung von dem, was man unter Demokratiebewusstsein versteht, wird in den heimischen Volks-, Haupt- und Mittelschulen nach meiner Erfahrung kaum vermittelt. Dementsprechend sieht dann die Mehrheit der Leute aus, die aus diesem System herauskommen.
Der Robert Menasse hat einmal bei einer Veranstaltung von uns einen schönen Satz gesagt, der sinngemäß so gelautet hat: "Jene Leute, die in diesem Land für die Pressefreiheit gekämpft haben, dafür ins Gefängnis geworfen worden sind oder gar umgebracht worden, würde sich heue im Grab umdrehen, wenn sie ein Blatt wie "Österreich" zu sehen bekämen".
Diese Meinung kann man jetzt teilen oder nicht. Das wirkliche Problem daran stellt aber nicht die Qualität dieses Urteils, sondern besteht in der Tatsache, dass viele Jungjournalisten gar nicht begreifen, was der Mann da sagt, weil es ihnen an jener Bildung mangelt, die einen Satz wie diesen in ein Bezugssystem setzt.

Und innerhalb der Branche?

Rohrer ortet neben einer zunehmenden ökonomischen Abhängigkeit der jungen Schreiber (die dann allzu oft in Gefälligkeits-Geschichten mündet) nämlich auch sowas wie eine grundsätzliche Mutlosigkeit "dem System" gegenüber. Hat der junge Journalist eher als der Arrivierte nicht das recht das "System", die "Struktur" verantwortlich zu machen? Oder ist das ein Kreuzübel das auch durch die vielen letscherten und windigen "Vorbilder", die sich in der Branche herumtreiben, befördert wird?

Datum mit politischem Farbenspiel-Cover

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Absolut.

Es gibt - auch wenn das jetzt den in diesem Land üblichen Grundkonsens verletzt, weil wir Branchenmenschen haben uns ja eh alle lieb und finden uns alle super - vielleicht ein dutzend Leute, die wirkliche 'role models' sind, die bei aller Show - die natürlich ein unabdingbarer Teil unseres Geschäfts ist - Vorbilder sind in ihrer Ernsthaftigkeit, Seriösität und Konsequenz ihrer Arbeit und Argumentation. Die "letscherten" und "windigen" Vorbilder sind naturgemäß in der Mehrheit. Aber dadurch unterscheidet sich der Journalismus kaum von irgendeiner anderen Branche. Ich persönlich hatte das Riesenglück, dass meine Mentoren - mit ausnahme von Armin Thurnher - allesamt aus Deutschland kamen und mir somit jene "Vogelperspektive" vermittelt haben, die in Österreich absolut nötig ist, um nicht dauernd im eigenen Sud zu kochen.

Das weitergedacht:

Wenn ich als junger Journalist etwa einen Dandy-Chefredakteur, der öffentlich über seine "Ohnmacht", den Menschen politische Covers zu verkaufen, jammert und deshalb den Boulevard-Kurs fährt, vor Augen habe - wo soll ich da ansetzen?

Bei der Ausbildung.

Wenn so etwas passiert wie die Kampagne der "Presse", in welcher der Chefredakteur das Land mit seinem Gesicht zuplakatiert, muss das in den Publzistik- und Journalismus-Unis thematisiert werden, es muss darüber diskutiert, reflektiert werden. Es gibt viele gute Gründe, so eine Kampagne gut zu finden und es gibt einen Haufen Gründe, sie scheiße zu finden. Der Punkt ist, siehe Menasse weiter oben, dass so etwas geschieht und als quasi gottgegeben hingenommen wird, Motto: so ist es halt.
Die Leute, die heute eine Journalismus-Ausbildung anfangen, nehmen das für einfach gegeben an, sie denken sich: aha, so läuft das und passen sich in der Folge entsprechend an. Und das ist eine Katastrophe.

wie Andrea Dusl Klaus Stimeder sieht

dusl

wie Andrea Dusl Klaus Stimeder sieht

Diesen Chefredakteur

hab ich zwar nicht gemeint, sondern den eines Magazins, aber: Wer soll/kann/muss die Grundlagen eines journalistischen Ethos vermitteln? Und: wenn die Antwort sein sollte "Es bleibt (auch) an mir, dem Stimeder, hängen!" - ist das gut so?

Diese Aufgabe

bleibt wohl oder übel an diesem Dutzend 'role models' hängen (zu denen ich mich selber definitiv nicht zähle).
Das klingt vielleicht komisch, aber ich mein es wirklich so: ich wäre nichts ohne die Leute und die Orte, die mich "geformt" haben, die mir jenes Rüstzeug mitgegeben haben, das es in diesem Job braucht, wenn man ihn ernsthaft betreiben will, sprich, wenn man sich nicht darauf beschränkt, Buchstaben rund um Fotos zu füllen, sondern ihn als lohnende Aufgabe begreift, als Dienst an der Demokratie und der Gesellschaft. Und ich wäre auch nichts ohne die vielen Idioten in diesem Job, weil die mir wie dem Datum im Grunde seine Existenzberechtigung sichern.
Was man nie vergessen darf: ein Magazin wie das Datum gebe es nicht, wenn wir in Deutschland, in Großbritannien oder in Frankreich wären. Es konnte nur unter den spezifischen österreichischen Namen entstehen, ist, wenn man so will, ein zutiefst "österreichisches Kind", im Guten wie im Bösen.
Passt?
lgk

Passt. Ich zähl dich im übrigen sehr wohl dazu. Danke!

Datum 51

die 2. Ausgabe 09 erscheint dieser Tage.